Roboterchirurgie

Expert:innen: Stefan Weber (Universität Bern)

Medizinroboter unterstützen Chirurg:innen und ermöglichen dank hoher Präzision minimalinvasive, sichere und kostengünstigere Eingriffe. Damit werden insbesondere komplizierte Operationen etwas weniger schwer: Komplikationen sind seltener und Patient:innen verlassen das Spital im Schnitt früher als bei Eingriffen mit klassischer Technik. Idealerweise reduziert dies die Kosten im Gesundheitswesen. Für die Schweizer Medizintechnikindustrie bieten Medizinroboter trotz der hohen regulatorischen Anforderungen eine grosse Chance, da sie in der Entwicklung und Produktion Präzision und Qualität voraussetzen, was die hohen Preise rechtfertigt.

Bild: CASCINATION AG

Definition

Medizinroboter sind eine Klasse von Medizinprodukten für chirurgische und interventionelle Eingriffe oder Anwendungen in der Rehabilitation. Unter erstere fallen Systeme, die nicht Roboter im klassischen Sinn sind, sondern eher Roboterarme, die Chirurg:innen bei Operationen unterstützen. Sie ermöglichen minimalinvasive Eingriffe. Chirurgische Medizinroboter übersetzen grosse Bewegungen von Chirurg:innen in Mikrobewegungen, was Eingriffe vor allem an kleinen Gefässen und anderen kleinen Strukturen vereinfacht und unwillkürliche Bewegungen ausgleicht. Sie bestehen aus einer Konsole, an der die operierende Person sitzt, die Roboterarme steuert und über einen Bildschirm das Innere des Körpers beobachtet, und einer patientenseitigen Robotereinheit, die sich aus einem Roboterarm, einer 3D-Kamera und einer Steuerzentrale zusammensetzt. Unter die Operationsroboter fallen auch Geräte, die auf der Basis von medizinischen Bilddaten chirurgische oder interventionelle Vorgänge mehr oder weniger automatisiert durchführen.

Rehabilitationsroboter sind Roboter im klassischen Sinn. Ihre Stärke liegt in der Wiederholung von monotonen Bewegungen sowie von Bewegungen, die für Therapeut:innen ausserhalb der Möglichkeiten liegen. Rehabilitationsroboter müssen nicht zwingend besser sein als menschliche Therapeut:innen, allerdings sollten sie weniger kostenintensiv sein und nicht ermüden.

Heutige und zukünftige Anwendungen

Aufgrund des aktuellen Fortschritts, nicht zuletzt auch im Bereich der künstlichen Intelligenz, gibt es einen Hype bei der Entwicklung und Vermarktung von Operationsrobotern. Chirurgische Robotik ist bei zahlreichen Anwendungen bereits Realität. Der bekannteste Vertreter ist der Operationsroboter Da Vinci – eigentlich ein roboter-assistiertes Operationssystem – der US-Firma Intuitive Surgical, mit dem minimalinvasive Operationen im urologischen und gynäkologischen Bereich durchgeführt werden. Weitere Anwendungen finden sich bei Eingriffen am Kopf und an der Wirbelsäule, in der HNO-, Thorax- und Viszeralchirurgie, aber auch bei orthopädischen Eingriffen an Hüft- und Kniegelenken. Roboter werden ebenfalls bei interventionellen Eingriffen, etwa beim Einsetzen von Stents, oder in der Krebsbehandlung involviert. Robotersysteme werden bei chirurgischen und interventionellen Eingriffen nur eingesetzt, sofern ihr Einsatz einen signifikanten medizinischen Mehrwert verspricht, der sich aus Positionierbarkeit, Präzision und Wiederholbarkeit ergibt und der die Kosten des Einsatzes übertrifft.

Die nächsten Jahre werden entscheidend für die Verbesserung der Roboter, die vermehrte Integration von verschiedenen Komponenten wie chirurgische Instrumente, Sensoren und Software sowie für die Materialentwicklungen. Je komplexer jedoch die Anwendungen werden, desto teurer sind auch die technischen Lösungen. Das Zusammenspiel von Mensch und Technik wird auch in Zukunft eine der grössten Herausforderungen sein. Zudem gilt es zu bedenken, dass Medizinroboter aufgrund ihrer technischen Komplexität anspruchsvolle medizinische Verfahren zur Zulassung durchlaufen müssen.

Chancen und Herausforderungen

Allgemein bieten Medizinroboter den Patient:innen die Chance minimalinvasiver Eingriffe und daraus ergeben sich kleinere Wunden und schnellere Wundheilung, geringer Blutverlust und kürzere Rehabilitationszeit. Die Patient:innen zeigen weniger postoperative Komplikationen und verlassen das Spital schneller, was positive Auswirkungen auf die Gesundheitskosten hat. Für einen Einsatz der Operationsroboter bei neuen Anwendungen müssen Hersteller und Spital aber den Nachweis erbringen, dass der Einsatz nicht nur medizinisch, sondern eben auch ökonomisch sinnvoll ist. Die Durchführung grosser Studien zum Nachweis der Kosteneffizienz ist teuer und dauert lange und ist für die mittelständisch geprägte Medizintechnikindustrie anspruchsvoll.

Die auf der EU-Ebene in Kraft gesetzte Medical Device Regulation (MDR), die auch für die exportorientierten Schweizer Firmen relevant ist, wirkt für komplexe Medizinprodukte innovationshemmend und verteuert deren Entwicklung und Zulassung signifikant. Trotzdem bieten Medizinroboter für die Schweizer Wirtschaft erhebliche Chancen. Die Systeme müssen hohe Anforderungen an Präzision und Zuverlässigkeit erfüllen, was dem Standort Schweiz, der international für seine hohen Qualitätsstandards anerkannt ist, entgegenkommt, hohe Preise rechtfertigt und gute Margen verspricht. Medizinroboter eröffnen zudem grosse Opportunitäten für Zulieferer von chirurgischen Instrumenten, Materialien und Softwarelösungen. Die Branche lebt in der Schweiz vom hohen Niveau in der Forschung und Entwicklung und der engen Zusammenarbeit der Industrie mit den Hochschulen, was sich in einer ausgeprägten Start-up-Szene und einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Unternehmen widerspiegelt.

Förderung

Der Schweizerische Nationalfonds hat sich regelmässig und signifikant an der Förderung der Medizinrobotik beteiligt. So wurden mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt CO-ME – Computerunterstützte und bildgeführte medizinische Eingriffe zwischen 2001 und 2013 die Grundlagen für Aktivitäten gelegt, die noch heute in Form von Firmen sichtbar sind. Nebst etablierten Förderinstrumenten ist das neu geschaffene Instrument Bridge des Schweizerischen Nationalfonds hervorragend für die Förderung der Entwicklung von Medizinrobotern geeignet. Der Finanzierungsbedarf ist allerdings sehr hoch, da für Fortschritte in der Medizinrobotik auch in den Bereichen chirurgische Instrumente, Materialien, Mechatronik und Software geforscht und entwickelt werden muss.

In der Medizinrobotik ist die Anbindung der klinischen Institutionen an die technischen essenziell. Obwohl sie in der Schweiz gut funktioniert, könnte die Bildung von Netzwerken mit akademischen, technischen und klinischen Akteur:innen von der Politik noch aktiver gefördert werden. Indem die Politik den Forschungsplatz Schweiz unterstützt, werden langfristig anspruchsvolle Arbeitsplätze geschaffen, welche kompetente Wissenschaftler:innen, Fachkräfte und Firmen anziehen.

Die exportorientierte Schweiz wird sich auch in Zukunft nach den europäischen Regulatorien in der Medizintechnik richten müssen. Die Politik kann allerdings sicherstellen, dass die für die Schweiz notwendigen Zusatzanforderungen minimal sind.

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